Musikalische Dokumentation

Erich Urbanner

Ausstellung

Wien 1983, 27 S., Ill., Notenbeisp.

 

Inhalt:

Seite:

   

Erich Urbanner: Selbstdarstellungen

5

Programmfolge des Konzertabends

9

Hartmut Krones: Erich Urbanner

10

Erich Urbanner – Werkverzeichnis

14

Die Ausstellung [Bearbeitung Liselotte Theiner]

22

 

Selbstdarstellung:

Für einen Komponisten ist die Selbstdarstellung mit Worten eine der undankbarsten Aufgaben, die man sich vorstellen kann. Selbstlob (welcher Komponist hält sich nicht für einen der besten!), da nicht gerade gewinnend, sollte womöglich ausgeklammert werden, Umschreibungen aber liefern oft verkrampfte, sicher oft auch sehr originelle Beiträge, die für mich aber dann wieder suspekt werden, wenn sie als selbstständige Disziplin mit Musik nur mehr wenig zu tun haben. Das Hauptprodukt eines Komponisten sollte die Komposition sein, und diese sollte eigentlich für sich sprechen, daher sind verbale Abhandlungen nur ein blasser Versuch. Ich habe mich trotzdem bemüht, anhand signifikanter Werke, die für meine Entwicklung viel bedeuten, Gedanken über das Komponieren zu äußern, um allgemeinen Wortspielereien zu entgehen. Es fällt mir trotzdem schwer, da über jedes kleinste Detail in der Kompositionstechnik Tonnen von Papier verschrieben wurden, da in den Formulierungen Ähnlichkeiten nicht zu umgehen sind. Es sollte nicht in böser Absicht geschehen. Letztlich würde ich mich aber lieber an ein bekanntes Sprichwort in etwas abgeänderter Form halten: "Reden ist Silber, gut komponieren ist Gold".
 

IMPROVISATION III für Kammerensemble 1969
Im Jahre 1969 vollzog sich in meinem kompositorischen Schaffen eine entscheidende Wende. Es ging darum, aus dem für mich zu eng gewordenen Korsett der Reihenkomposition und seriellen Techniken auszubrechen, weil Routine und schließlich Stagnation drohten. Ich wollte zu einem freien Stil finden, in dem Melodik, Form und Klangerlebnisse völlig dem schöpferischen Willen unterliegen. Das Ziel der Arbeit war es, die Substanz einer für mich neuen Sache zu ergründen, die Qualitäten zu entdecken und zur Diskussion zu stellen. Diese Arbeit soll aber auch der Bildung und 'der Entwicklung des musikalischen Ausdrucks und Denkens dienen, ausgehend von der Prämisse, dass es nicht um letztgültige Ergebnisse gehen kann. Ich versuchte, noch nicht Sanktioniertes zu erproben und dazuzulernen, räume die Freiheit zum Widerspruch ein und beanspruche für mich die Freiheit des Irrtums.
Ich verwende ein reiches Register klanglicher Möglichkeiten und ergänze die Komposition durch Improvisation der Musiker. Die räumliche Notation unterstützt die gestellten Aufgaben. Bestimmte Wegstrecken entsprechen bestimmten Zeitstrecken, die Stärke der Notenbalken bezeichnet die reich modulierte Dynamik. Neben genau notierten Blöcken gibt es einige freie Entwicklungen, die der musikalischen Phantasie, dem Spieltrieb der Akteure Raum geben. Der Dirigent koordiniert die Abläufe und sorgt für die richtige Balance.


VIOLINKONZERT 1971
Die Publikumsreaktionen nach der Uraufführung bewegten sich zwischen überschwenglicher Zuwendung und vorsichtig formulierter Ablehnung, Ausdrücke wie "neue Ufer" oder "Speethoven" unkten mit. In dem Zusammenhang muss ich immer an einen meiner Kollegen denken, der einem bundesdeutschen Theaterintendanten seine Oper zur Durchsicht übergab und folgendes zu hören bekam: "Da sind ja richtige Melodien drin, ja kann ich das meinem Publikum zumuten?". Ja, ich habe dem Publikum Melodien "zugemutet", da es für mich wieder einmal darum ging, die von avantgardistischen Machthabern und Veranstaltern vorweggenommene Bestimmung dessen, was dem Publikum gefällt oder nicht, einfach nicht anzuerkennen. Zu lange wurde auf dieser Basis komponiert, mit unendlicher Geduld hat der willige Hörer in dieser Zeit nicht nur die ihn überfordernde Musik selbst, sondern auch die Hiebe ertragen, die er für sein Ungenügen zu fühlen bekam. Es entspricht in einem Zustand des kulturellen Zerfalls scheinbar dem menschlichen Bedürfnis, für die eigene Ohnmacht einen höheren Verantwortlichen zu bestimmen. Ein Künstlerdasein solcher Art bereitete mir immer schon großes Unbehagen, und meine Bemühungen gingen dahin, die abgerissene Kommunikation wiederherzustellen. Der Erfolg, den das Violinkonzert bei häufigen Aufführungen im In- und Ausland hat, sollte mir recht geben.


DAS JAHRZEHNT DER INSTRUMENTALKONZERTE
In den folgenden 10 Jahren beschäftigte ich mich immer wieder mit dem Instrumentalkonzert und mit konzertanten Ausdrucksformen:
Violinkonzert 1971, Concerto "Wolfgang Amadeus" 1972, Kontrabasskonzert 1973, Klavierkonzert ,,76" 19:76, Quartetto concertato 1978, Concerto für Alt-Saxophon und 12 Spieler 1979, Konzert für Violoncello und Orchester 1981 und Sinfonia concertante 1982.
Meine Experimentierfreude Ende der 60-er Jahre eröffnete mir eine Reihe von neuen Spieltechniken, die ich besonders im Violinkonzert und auch im Kontrabasskonzert wirkungsvoll einzusetzen versuchte, was heißt, nie rein sportliche Akrobatik anzustreben, sondern Bereicherung musikalischen Ausdrucks zu suchen. Wohl abgestimmt und sinnvoll verwendet, bietet es dem Solisten zusätzlich Gelegenheit, das klippenreiche Repertoire moderner und modernster Tongebung virtuos zu präsentieren.
Obwohl Publikumswirksamkeit nicht abzusprechen ist (gerade diese beiden Konzerte haben sich international erfolgreich durchgesetzt), wurde mir ihre Sonderstellung sehr bald klar. Sie sind im Ausdruck sehr individuell und eigenwillig, daher nicht wiederholbar. Die Suche nach Alternativen führte einerseits zur Auseinandersetzung mit traditionellen, ja sogar klassischen Formund Ausdrucksmodellen und geht z.B. im Saxophonkonzert von der Zwischenstellung des Soloinstruments zwischen E- und U-Musik aus, zu spüren im Ausdruck, in der Figuration, in der Rhythmik, in der Harmonik und in der Instrumentation. Allen Konzerten ist aber die virtuose Handhabung des Soloinstrumentes eigen, die den ausdrucksvollen und großen persönlichen Ton im Melos brauchen, dazu Geläufigkeit, aggressive Ausbrüche, Meditation und Exhibition.


RETROSPEKTIVEN 1974/75, 4 STÜCKE FÜR GROSSES ORCHESTER
Neufassung 1979
Eine Retrospektive eines noch nicht Vierzigjährigen, was ist das? Eine Alterserscheinung, ein Zurückblicken im Zorn, oder einfach eine kritische Zusammenfassung des Erlebten in der Erkenntnis, dass Vergangenheit und Zukunft einander in der Gegenwart begegnen, dass es gut ist, Verbindungen herzustellen. Die Retrospektiven sind eine Summe auf Grund eines umfangreichen eigenen Werkes, sind der Versuch einer Untersuchung, was aus wichtigen kompositorischen Entwicklungsphasen (Neoklassizistisch-Polyphon, Dodekaphonisch-Seriell, Improvisatorisch-Postseriell) übrig geblieben ist, sind Ausblicke auf das, was mir für die weitere kompositorische Entwicklung noch gangbar erscheint. Jedes der 4 Stücke ist eine Reaktion auf meine gesamte musikalische Erfahrung, entstanden aus Neugierde, aus Wissbegier und Experimentierlust an so genanntem Neuen. Sie sind Auseinandersetzung mit früheren Entwicklungsphasen, wo es um die Konfrontation von stark an Dodekaphonik erinnernden strukturellen Teilen und Clusterbildungen mit dem Melos geht. Da Entwicklungen von strukturellen Feldern oft zu schwer durchhörbaren Ergebnissen führen, wird die Gegenüberstellung zu Gunsten des Melos entschieden. Zum anderen wird die signifikante Form eines "Marcia funebre" im Sinne der "Fensterkomposition" verfremdet und durch "Collage" aufgebrochen. Zu Grabe getragen wird hier das bedingungslose Aufgreifen von vorgeformteQ Modellen und deren Auffüllen mit falschen Noten. Dieser Satz kann als Neoklassizistik-Kritik gehört und verstanden werden. Die Beschäftigung mit der Rondoform erfolgt auf der Basis, dass das Ritornell nie in seiner ursprünglichen Gestalt wiederkehrt und immer wieder Möglichkeiten zu einer anderen Fortsetzung aufreißt. Das Rondoprinzip schlägt in sein Gegenteil um, die rundgeschlossene Form wird aufgebrochen. Trotz kontrapunktischer Verflechtungen setzt sich die Pulsation immer wieder entscheidend durch und erweckt im Hörer das Gefühl eines Musikstückes "im Tempo". Das erscheint mir sehr wichtig, da schnelle Sätze in den letzten 30 Jahren so rar geworden sind. Ich stellte mich auch gegen das allzu plakative Komponieren mit Klangfeldern. Die Antwort darauf ist wieder das Melodische, seine reichen Beziehungen, die wohl die komplexesten und verfeinerungsfähigsten Möglichkeiten in dieser Richtung sind.


SINFONIETTA 1979
In einer Zeit des Komponierens kompliziertester, kaum kontrollierbarer Zusammenhänge, wo durch Entwicklung und Vermischung von Mustern (patterns), durch Relativierung der Intervallspannungen, durch Zufallsbildungen und auch durch Nivellierung der Unterschiedsempfindlichkeit im Bereich der Dynamik und Harmonik der Zuhörer verwirrt und überfordert ist, wird immer klarer, dass weder stilistische, ideologische, notationstechnische noch sonst äußere Merkmale zur "Qualifikation" einer Musik führen können. Innovationen sind weniger denn je im Materialbereich, als im Grad der kompositorisch gestaltenden Bewältigung zu setzen. Ich glaube, dass unser Kunsterlebnis nach wie vor durch die Baugesinnung entsteht, durch die Mitteilung menschlicher Erfahrungen über das Kommunikationsmittel von Ordnungsfaktoren. Ich strebe klar fassliche Formen an — denn hier zeigt sich wohl die wahre Substanz eines Werkes —, die Rücksicht auf den Hörer nehmen. Damit ist nicht irgendeine Art von Opportunität gemeint, vielmehr soll solche Rücksichtnahme ganz dem innersten Wesen von Musik, wenn sie mitteilen soll, entsprechen. Hier erst tritt sie mit ihrer dreifachen Schichtung von Material, Struktur und Form in ihre volle Existenzweise ein.