Selbstdarstellung:
Für einen Komponisten ist die
Selbstdarstellung mit Worten eine der undankbarsten Aufgaben, die man
sich vorstellen kann. Selbstlob (welcher Komponist hält sich nicht für
einen der besten!), da nicht gerade gewinnend, sollte womöglich
ausgeklammert werden, Umschreibungen aber liefern oft verkrampfte,
sicher oft auch sehr originelle Beiträge, die für mich aber dann wieder
suspekt werden, wenn sie als selbstständige Disziplin mit Musik nur mehr
wenig zu tun haben. Das Hauptprodukt eines Komponisten sollte die
Komposition sein, und diese sollte eigentlich für sich sprechen, daher
sind verbale Abhandlungen nur ein blasser Versuch. Ich habe mich
trotzdem bemüht, anhand signifikanter Werke, die für meine Entwicklung
viel bedeuten, Gedanken über das Komponieren zu äußern, um allgemeinen
Wortspielereien zu entgehen. Es fällt mir trotzdem schwer, da über jedes
kleinste Detail in der Kompositionstechnik Tonnen von Papier
verschrieben wurden, da in den Formulierungen Ähnlichkeiten nicht zu
umgehen sind. Es sollte nicht in böser Absicht geschehen. Letztlich
würde ich mich aber lieber an ein bekanntes Sprichwort in etwas
abgeänderter Form halten: "Reden ist Silber, gut komponieren ist Gold".
IMPROVISATION III für Kammerensemble
1969
Im Jahre 1969 vollzog sich in meinem kompositorischen Schaffen eine
entscheidende Wende. Es ging darum, aus dem für mich zu eng gewordenen
Korsett der Reihenkomposition und seriellen Techniken auszubrechen, weil
Routine und schließlich Stagnation drohten. Ich wollte zu einem freien
Stil finden, in dem Melodik, Form und Klangerlebnisse völlig dem
schöpferischen Willen unterliegen. Das Ziel der Arbeit war es, die
Substanz einer für mich neuen Sache zu ergründen, die Qualitäten zu
entdecken und zur Diskussion zu stellen. Diese Arbeit soll aber auch der
Bildung und 'der Entwicklung des musikalischen Ausdrucks und Denkens
dienen, ausgehend von der Prämisse, dass es nicht um letztgültige
Ergebnisse gehen kann. Ich versuchte, noch nicht Sanktioniertes zu
erproben und dazuzulernen, räume die Freiheit zum Widerspruch ein und
beanspruche für mich die Freiheit des Irrtums.
Ich verwende ein reiches Register klanglicher Möglichkeiten und ergänze
die Komposition durch Improvisation der Musiker. Die räumliche Notation
unterstützt die gestellten Aufgaben. Bestimmte Wegstrecken entsprechen
bestimmten Zeitstrecken, die Stärke der Notenbalken bezeichnet die reich
modulierte Dynamik. Neben genau notierten Blöcken gibt es einige freie
Entwicklungen, die der musikalischen Phantasie, dem Spieltrieb der
Akteure Raum geben. Der Dirigent koordiniert die Abläufe und sorgt für
die richtige Balance.
VIOLINKONZERT 1971
Die Publikumsreaktionen nach der Uraufführung bewegten sich zwischen
überschwenglicher Zuwendung und vorsichtig formulierter Ablehnung,
Ausdrücke wie "neue Ufer" oder "Speethoven" unkten mit. In dem
Zusammenhang muss ich immer an einen meiner Kollegen denken, der einem
bundesdeutschen Theaterintendanten seine Oper zur Durchsicht übergab und
folgendes zu hören bekam: "Da sind ja richtige Melodien drin, ja kann
ich das meinem Publikum zumuten?". Ja, ich habe dem Publikum Melodien
"zugemutet", da es für mich wieder einmal darum ging, die von
avantgardistischen Machthabern und Veranstaltern vorweggenommene
Bestimmung dessen, was dem Publikum gefällt oder nicht, einfach nicht
anzuerkennen. Zu lange wurde auf dieser Basis komponiert, mit
unendlicher Geduld hat der willige Hörer in dieser Zeit nicht nur die
ihn überfordernde Musik selbst, sondern auch die Hiebe ertragen, die er
für sein Ungenügen zu fühlen bekam. Es entspricht in einem Zustand des
kulturellen Zerfalls scheinbar dem menschlichen Bedürfnis, für die
eigene Ohnmacht einen höheren Verantwortlichen zu bestimmen. Ein
Künstlerdasein solcher Art bereitete mir immer schon großes Unbehagen,
und meine Bemühungen gingen dahin, die abgerissene Kommunikation
wiederherzustellen. Der Erfolg, den das Violinkonzert bei häufigen
Aufführungen im In- und Ausland hat, sollte mir recht geben.
DAS JAHRZEHNT DER INSTRUMENTALKONZERTE
In den folgenden 10 Jahren beschäftigte ich mich immer wieder mit dem
Instrumentalkonzert und mit konzertanten Ausdrucksformen:
Violinkonzert 1971, Concerto "Wolfgang Amadeus" 1972, Kontrabasskonzert
1973, Klavierkonzert ,,76" 19:76, Quartetto concertato 1978, Concerto
für Alt-Saxophon und 12 Spieler 1979, Konzert für Violoncello und
Orchester 1981 und Sinfonia concertante 1982.
Meine Experimentierfreude Ende der 60-er Jahre eröffnete mir eine Reihe
von neuen Spieltechniken, die ich besonders im Violinkonzert und auch im
Kontrabasskonzert wirkungsvoll einzusetzen versuchte, was heißt, nie
rein sportliche Akrobatik anzustreben, sondern Bereicherung
musikalischen Ausdrucks zu suchen. Wohl abgestimmt und sinnvoll
verwendet, bietet es dem Solisten zusätzlich Gelegenheit, das
klippenreiche Repertoire moderner und modernster Tongebung virtuos zu
präsentieren.
Obwohl Publikumswirksamkeit nicht abzusprechen ist (gerade diese beiden
Konzerte haben sich international erfolgreich durchgesetzt), wurde mir
ihre Sonderstellung sehr bald klar. Sie sind im Ausdruck sehr
individuell und eigenwillig, daher nicht wiederholbar. Die Suche nach
Alternativen führte einerseits zur Auseinandersetzung mit
traditionellen, ja sogar klassischen Formund Ausdrucksmodellen und geht
z.B. im Saxophonkonzert von der Zwischenstellung des Soloinstruments
zwischen E- und U-Musik aus, zu spüren im Ausdruck, in der Figuration,
in der Rhythmik, in der Harmonik und in der Instrumentation. Allen
Konzerten ist aber die virtuose Handhabung des Soloinstrumentes eigen,
die den ausdrucksvollen und großen persönlichen Ton im Melos brauchen,
dazu Geläufigkeit, aggressive Ausbrüche, Meditation und Exhibition.
RETROSPEKTIVEN 1974/75, 4 STÜCKE FÜR GROSSES ORCHESTER
Neufassung 1979
Eine Retrospektive eines noch nicht Vierzigjährigen, was ist das? Eine
Alterserscheinung, ein Zurückblicken im Zorn, oder einfach eine
kritische Zusammenfassung des Erlebten in der Erkenntnis, dass
Vergangenheit und Zukunft einander in der Gegenwart begegnen, dass es
gut ist, Verbindungen herzustellen. Die Retrospektiven sind eine Summe
auf Grund eines umfangreichen eigenen Werkes, sind der Versuch einer
Untersuchung, was aus wichtigen kompositorischen Entwicklungsphasen
(Neoklassizistisch-Polyphon, Dodekaphonisch-Seriell,
Improvisatorisch-Postseriell) übrig geblieben ist, sind Ausblicke auf
das, was mir für die weitere kompositorische Entwicklung noch gangbar
erscheint. Jedes der 4 Stücke ist eine Reaktion auf meine gesamte
musikalische Erfahrung, entstanden aus Neugierde, aus Wissbegier und
Experimentierlust an so genanntem Neuen. Sie sind Auseinandersetzung mit
früheren Entwicklungsphasen, wo es um die Konfrontation von stark an
Dodekaphonik erinnernden strukturellen Teilen und Clusterbildungen mit
dem Melos geht. Da Entwicklungen von strukturellen Feldern oft zu schwer
durchhörbaren Ergebnissen führen, wird die Gegenüberstellung zu Gunsten
des Melos entschieden. Zum anderen wird die signifikante Form eines
"Marcia funebre" im Sinne der "Fensterkomposition" verfremdet und durch
"Collage" aufgebrochen. Zu Grabe getragen wird hier das bedingungslose
Aufgreifen von vorgeformteQ Modellen und deren Auffüllen mit falschen
Noten. Dieser Satz kann als Neoklassizistik-Kritik gehört und verstanden
werden. Die Beschäftigung mit der Rondoform erfolgt auf der Basis, dass
das Ritornell nie in seiner ursprünglichen Gestalt wiederkehrt und immer
wieder Möglichkeiten zu einer anderen Fortsetzung aufreißt. Das
Rondoprinzip schlägt in sein Gegenteil um, die rundgeschlossene Form
wird aufgebrochen. Trotz kontrapunktischer Verflechtungen setzt sich die
Pulsation immer wieder entscheidend durch und erweckt im Hörer das
Gefühl eines Musikstückes "im Tempo". Das erscheint mir sehr wichtig, da
schnelle Sätze in den letzten 30 Jahren so rar geworden sind. Ich
stellte mich auch gegen das allzu plakative Komponieren mit
Klangfeldern. Die Antwort darauf ist wieder das Melodische, seine
reichen Beziehungen, die wohl die komplexesten und
verfeinerungsfähigsten Möglichkeiten in dieser Richtung sind.
SINFONIETTA 1979
In einer Zeit des Komponierens kompliziertester, kaum kontrollierbarer
Zusammenhänge, wo durch Entwicklung und Vermischung von Mustern (patterns),
durch Relativierung der Intervallspannungen, durch Zufallsbildungen und
auch durch Nivellierung der Unterschiedsempfindlichkeit im Bereich der
Dynamik und Harmonik der Zuhörer verwirrt und überfordert ist, wird
immer klarer, dass weder stilistische, ideologische, notationstechnische
noch sonst äußere Merkmale zur "Qualifikation" einer Musik führen
können. Innovationen sind weniger denn je im Materialbereich, als im
Grad der kompositorisch gestaltenden Bewältigung zu setzen. Ich glaube,
dass unser Kunsterlebnis nach wie vor durch die Baugesinnung entsteht,
durch die Mitteilung menschlicher Erfahrungen über das
Kommunikationsmittel von Ordnungsfaktoren. Ich strebe klar fassliche
Formen an — denn hier zeigt sich wohl die wahre Substanz eines Werkes —,
die Rücksicht auf den Hörer nehmen. Damit ist nicht irgendeine Art von
Opportunität gemeint, vielmehr soll solche Rücksichtnahme ganz dem
innersten Wesen von Musik, wenn sie mitteilen soll, entsprechen. Hier
erst tritt sie mit ihrer dreifachen Schichtung von Material, Struktur
und Form in ihre volle Existenzweise ein.
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