Selbstdarstellung:
Ich habe mich - nicht immer freiwillig - bemüht, nicht einseitig zu
sein.
Als mein Klavierlehrer am Neuen Wiener Konservatorium, Carl Lafite, der,
als ich eintrat, eben auch eine Orgelklasse übernommen hatte, von mir
verlangte, auch Orgelspielen zu lernen, wehrte ich mich zunächst und
folgte auch nicht sehr begeistert seinem Rat, bei Anton Maria Klafsky
Kirchenmusik zu belegen. Heute weiß ich: wer sich nicht bis zur
Gregorianik und zumindest der Musik der Renaissance zurückgetastet hat,
weiß nicht, was europäische Musik wirklich ist. Nur nebenbei: nach 1945
haben Orgelspiel und Kirchenmusikwissen für etliche Jahre meine
Existenzgrundlage gebildet.
Mein Kompositionslehrer Egon Lustgarten (Joseph Marx hat für mich keine
besondere Rolle gespielt; trotzdem habe ich mich gefreut, soeben seine
wichtigsten Lieder herausgeben und in deren Stil und Wiedergabe mehr,
als das sonst üblich ist, einführen zu können) hat mich in das Volkslied
ganz Europas (die herrlichen balkanischen Weisen etwa) eingeführt und
von den unzähligen Sätzen, die ich im Unterricht anzufertigen hatte,
verlangt, dass sie sich stilistisch optimal den Weisen anpassten, was
oft einen langen Kampf um eine einzige Note bedeutete. Aber so schulte
er mein musikalisches Stilgefühl in jeder nur möglichen Hinsicht. Als
mich im Herbst 1959 die Lehrervollversammlung an der Wiener
Musikakademie zum neuen Leiter der von Hans Sittner geschaffenen
Stilkommission bestellte, verstand ich, worum es ging. Aber wie musste
ich mich da ins Musikwissenschaftliche stürzen! Es gelang, und die
spätere Freundschaft mit Franz Grasberger hat mir entscheidende
Weichenstellungen gegeben, denn daraus ging letztlich meine Gründung der
"Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Vokalmusikforschung" hervor,
deren erster Kongress "Zur Geschichte des Wort-Ton-Verhältnisses im
europäischen Raum" bereits ein voller und folgenschwerer Erfolg war. So
reihte sich Stein an Stein.
Aber Lustgarten hatte mich auch zu Bartk und zu der Wiener Schule
geführt und mich gelehrt, nicht einseitig zu sein. Das beweist, neben
meinen Hauptwerken, die Unzahl der viel gesungenen Volksliedsätze für
Chor genauso, wie es die Reihe der für die Inszenierungen Hans
Krendlesbergers geschaffenen Hörspielmusiken zeigt. Mein "innerer Klang"
lag nie bei den Österreichern; er hatte den gleich mir an einem 22.
August geborenen Debussy als Grundlage (Astrologen können darüber
nachdenken), Milhaud hinterließ gravierende Züge; die nach 1945 im
allgemeinen Nachholbedarf zuerst Hindemith und dann dem Schönbergkreis
geltende Blickrichtung war weniger entscheidend. Aber ich verstand dann
auf Anhieb Wellesz, und über seinen ausdrücklichen Wunsch schrieb ich
seine Biographie, und es entstand eine echte Künstlerfreundschaft. Als
mich der Österreichische Komponistenbund für 4 Jahre zu seinem
Präsidenten wählte, stand ich fern jeder Einseitigkeit, und das Wissen,
das ich mir bei dieser Tätigkeit holte, gibt mir heute die umfassende
Grundlage für meine Werkeinführungen im ORF (1980 durfte ich in etwa 80
zeitgenössische österreichische Werke erfolgreich einführen: wann vorher
war das, sieht man von der "Modernen Stunde" meines Mödlinger
Klassenkameraden Friedrich Wildgans ab, da?). Auch hier reihte sich also
Stein an Stein.
Ich habe die Linzer Jahre, die erfolgreich begannen und in einem Meer
von Intrigen und schäbigsten Verleumdungen endeten, oft verdammt. Aber
sie gaben mir abgesehen von reicher dirigentischer Tätigkeit die
Möglichkeit, das organisatorische Können, zu dem mich sechseinhalb Jahre
Militärdienst als Zahlmeister (nach dem Feldbataillon und der Verwundung
in Russland die Überprüfung der Wirtschaft von rund 150 Lazaretten)
gebracht hatten, durchaus zum Vorteil des städtischen Musiklebens
anzuwenden, und sie warfen mich in die Arme der Volksbildung; immerhin
ist daraus in Linz mein erstes Buch, "Musik in der Volksbildung" und
später noch etliches andere in Wien hervorgegangen. In diesen Jahren war
es auch, dass der Gesangspädagoge Eduard Rossi mich sehr gegen meinen
Willen überredete (er hatte mich als Chorleiter erlebt), bei ihm Gesang
zu lernen.
Ich tat das dann 6 Jahre lang gründlich.
Am 30. Juni 1959, dem Tag, an dem ich mittags in Linz meine Kündigung zu
überreichen entschlossen war, übergab mir morgens bei einer Linzer
Sitzung Dr. Hans Sittner, der damalige Akademiepräsident, meine
neuerliche Berufung für eine Lied- und Oratorienklasse an der Wiener
Musikhochschule (1952 hatte ich idiotischerweise eine erste Berufung
abgelehnt) - wie gut tat mir da, bis heute, mein gesangstechnisches
Wissen! Aus der Liedklassenarbeit ging über Hofrat Dir. Grasbergers
Hinweis mein Buch "Das österreichische Lied des 20. Jahrhunderts"
hervor, dem vorher, aus einer meiner vielen Rundfunk-Sendereihen
entstanden, "Die Wiener Schule" vorausgegangen war. Nun liegen als
Arbeitsaufträge "Die Vokalmusik Alban Bergs" und "Die österreichische
Symphonie seit Mahler" vor und eine dreibändige "Liedinterpretation",
auf die schon der japanische Verleger wartet; ist vor der
Fertigstellung. Vielleicht wird aus der eben laufenden Schulfunkreihe
"Das Tonsymbol" ein Schulbuch; es fehlt. - Von wirklichem Misserfolg
begleitet waren nur die 11 Jahre, die ich Bundeschorleiter des
Arbeitersängerbundes war: die kleinen Provinzvereine waren vehement
gegen meine Bestrebungen einer Niveau-Höherhebung. Da gab ich die Arbeit
- schade um die viele verlorene Zeit - auf.
Dass ich all das Aufgezeigte und noch Etliches mehr leisten konnte (etwa
meine Kritikerjahre), verdanke ich lediglich meinen Lehrern, die mich
gelehrt hatten, die Augen offen zu halten und nichts als vergeblich
getan anzusehen, wenn es das auch zunächst mitunter erschien. Aber
niemand sieht gerne dahinschwinden, woran er in irgendeiner Weise
mitgebaut hat. Die Jungen heute sind zu eng, zu spezialisiert, liefern
sich zu sehr der Einseitigkeit aus. Ich sehe nur für Details, nicht für
mein Gesamtwerk, so viele Lücken es auch hat, Nachfolger. Das bedrückt
mich; es wird mir die letzten Stunden meines Lebens zu traurigen machen. |