Marcel Rubin

Konzertabend  mit einführenden Worten des Komponisten

Ausstellung

Wien 1981, 20S., Ill., Notenbeisp.

 

Inhalt:

Seite:

   

Marcel Rubin: Von einer Methode des Komponierens

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Programmfolge des Konzertes

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Hartmut Krones: Marcel Rubin

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Marcel Rubin – Werkverzeichnis seit 1975

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Werke von Marcel Rubin auf Schallplatten

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Die Ausstellung [Bearbeitung Lucia Vogel]

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Selbstdarstellung:

Ich spreche bewusst von einer Methode, da es natürlich viele Methoden des Komponierens gibt. Doch es ist meine Methode, die immerhin auf einer Erfahrung von nunmehr 56 Jahren beruht. Ich gehe davon aus, dass das primäre Element, der Keim der Musik, die melodische Linie ist. Das habe ich nicht nur als Zwanzigjähriger in Paris von Darius Milhaud gelernt, das entspricht auch dem Werden der Musik, der europäischen vor allem, die lange Zeit einstimmig, also melodiebetont war, bis um die Jahrtausendwende die ersten Ansätze der Mehrstimmigkeit hinzukamen und erst sehr viel später die lineare Zeichnung, das musikalische Schwarz-Weiß, durch die Farben des neuzeitlichen Instrumentariums belebt wurde.
So skizziere ich auch jedes Werk zunächst einstimmig. Gewiss habe ich auch schon in diesem Stadium eine Vorstellung, von Harmonien, Gegenstimmen und Klangfarben, doch kommt es mir hier besonders auf die das Ganze durchziehende melodische Linie und auf die Form des Satzes an. (Was diese betrifft, so geschieht es nur selten, dass das fertige Werk gegenüber der Skizze auch nur um einen Takt verlängert oder verkürzt wird.) Immer liegt mir daran, in der melodischen Linie bereits das Wesentliche des Stückes zu umfassen, so dass es notfalls auch in dieser ersten einstimmigen Fassung etwas auszusagen vermöchte wie etwa ein gregorianischer Choral.
Für die melodische Linie freilich habe ich keine Methode, kein Rezept. Hier wirkt das Inkommensurable des Einfalls, die Rezeption dessen, was ich in der Welt auf neue Weise sehe und höre, und was mir von dort zurücktönt. Diese neue Art des Sehens und des Hörens, die vom Geist herkommt, halte ich übrigens für das entscheidende Kriterium der neuen Musik, nicht eine der neuen "Maschen", die auch der Unbegabte nach Belieben sich vorbinden oder ablegen kann. Meine Art, in die Welt zu hören und deren Widerhall zu rezipieren, erfordert allerdings äußerste Konzentration und ständige Korrekturen; von einem Schreiben "nach Diktat" ist nicht die Rede.
Der zweite Teil der Arbeit betrifft die Harmonik und die Polyphonie. Meine Harmonik ist, auch wenn meine Musik im Grunde tonal ist, gewöhnlich nicht funktionell nach den Regeln der Harmonielehre, sondern sehr frei, zum Teil ein Ergebnis des Zusammentreffens verschiedener Stimmen, immer aber bereits Element der Farbgebung. Sie bedeutet für die primäre melodische Linie, was die Atmosphäre der Natur ist. Das Hinzutreten neuer, selbständiger Stimmen, also die Polyphonie, ist für mich ein Mittel der musikalischen Architektur. Man kann ein tönendes Gebäude errichten, steigern selbst ohne Hilfe der Dynamik, indem man von der Einstimmigkeit sukzessive zur Vielstimmigkeit fortschreitet. Damit ist schon angedeutet, dass ich "Füllstimmen" nicht schätze. Sie verdecken Mängel der musikalischen Struktur wie Watteauflagen abfallende Schultern. Zu solchen Mängeln sollte der Komponist es erst gar nicht kommen lassen. Die selbständigen, in sich logischen und ausdrucksvollen Stimmen müssen eben so geführt werden, dass sie gemeinsam die gewünschte Fülle des Klanges ergeben.
Nun folgt als dritte Etappe der Arbeit (ich denke hier vor allem an Orchestermusik) die Instrumentation. Sie setzt nicht nur eine genaue Kenntnis der technischen und klanglichen Möglichkeit der Instrumente, sondern noch viel mehr voraus: nämlich die Fähigkeit, neue, der Aussage gemäße Klangfarben zu erfinden, Instrumente der heterogensten Art miteinander zu kombinieren. Hier waren Mahler und Strawinsky meine großen Lehrmeister, aber die Möglichkeiten sind nach wie vor unerschöpflich. Es ist also auch die Instrumentation - so wie alles in der Komposition - kein bloßes Handwerk, sie erfordert zudem Phantasie und Einfall wie die Gestaltung einer - Melodie.
Harmonik, Polyphonie und Instrumentation sind bis ins letzte Detail im Particell festgehalten, so dass in der Partitur nur noch Ausführungsbestimmungen wie Vortragszeichen und Phrasierungsangaben hinzuzufügen sind.