Selbstdarstellung:
Ich spreche bewusst von einer Methode, da es natürlich viele Methoden
des Komponierens gibt. Doch es ist meine Methode, die immerhin auf einer
Erfahrung von nunmehr 56 Jahren beruht. Ich gehe davon aus, dass das
primäre Element, der Keim der Musik, die melodische Linie ist. Das habe
ich nicht nur als Zwanzigjähriger in Paris von Darius Milhaud gelernt,
das entspricht auch dem Werden der Musik, der europäischen vor allem,
die lange Zeit einstimmig, also melodiebetont war, bis um die
Jahrtausendwende die ersten Ansätze der Mehrstimmigkeit hinzukamen und
erst sehr viel später die lineare Zeichnung, das musikalische
Schwarz-Weiß, durch die Farben des neuzeitlichen Instrumentariums belebt
wurde.
So skizziere ich auch jedes Werk zunächst einstimmig. Gewiss habe ich
auch schon in diesem Stadium eine Vorstellung, von Harmonien,
Gegenstimmen und Klangfarben, doch kommt es mir hier besonders auf die
das Ganze durchziehende melodische Linie und auf die Form des Satzes an.
(Was diese betrifft, so geschieht es nur selten, dass das fertige Werk
gegenüber der Skizze auch nur um einen Takt verlängert oder verkürzt
wird.) Immer liegt mir daran, in der melodischen Linie bereits das
Wesentliche des Stückes zu umfassen, so dass es notfalls auch in dieser
ersten einstimmigen Fassung etwas auszusagen vermöchte wie etwa ein
gregorianischer Choral.
Für die melodische Linie freilich habe ich keine Methode, kein Rezept.
Hier wirkt das Inkommensurable des Einfalls, die Rezeption dessen, was
ich in der Welt auf neue Weise sehe und höre, und was mir von dort
zurücktönt. Diese neue Art des Sehens und des Hörens, die vom Geist
herkommt, halte ich übrigens für das entscheidende Kriterium der neuen
Musik, nicht eine der neuen "Maschen", die auch der Unbegabte nach
Belieben sich vorbinden oder ablegen kann. Meine Art, in die Welt zu
hören und deren Widerhall zu rezipieren, erfordert allerdings äußerste
Konzentration und ständige Korrekturen; von einem Schreiben "nach
Diktat" ist nicht die Rede.
Der zweite Teil der Arbeit betrifft die Harmonik und die Polyphonie.
Meine Harmonik ist, auch wenn meine Musik im Grunde tonal ist,
gewöhnlich nicht funktionell nach den Regeln der Harmonielehre, sondern
sehr frei, zum Teil ein Ergebnis des Zusammentreffens verschiedener
Stimmen, immer aber bereits Element der Farbgebung. Sie bedeutet für die
primäre melodische Linie, was die Atmosphäre der Natur ist. Das
Hinzutreten neuer, selbständiger Stimmen, also die Polyphonie, ist für
mich ein Mittel der musikalischen Architektur. Man kann ein tönendes
Gebäude errichten, steigern selbst ohne Hilfe der Dynamik, indem man von
der Einstimmigkeit sukzessive zur Vielstimmigkeit fortschreitet. Damit
ist schon angedeutet, dass ich "Füllstimmen" nicht schätze. Sie
verdecken Mängel der musikalischen Struktur wie Watteauflagen abfallende
Schultern. Zu solchen Mängeln sollte der Komponist es erst gar nicht
kommen lassen. Die selbständigen, in sich logischen und ausdrucksvollen
Stimmen müssen eben so geführt werden, dass sie gemeinsam die gewünschte
Fülle des Klanges ergeben.
Nun folgt als dritte Etappe der Arbeit (ich denke hier vor allem an
Orchestermusik) die Instrumentation. Sie setzt nicht nur eine genaue
Kenntnis der technischen und klanglichen Möglichkeit der Instrumente,
sondern noch viel mehr voraus: nämlich die Fähigkeit, neue, der Aussage
gemäße Klangfarben zu erfinden, Instrumente der heterogensten Art
miteinander zu kombinieren. Hier waren Mahler und Strawinsky meine
großen Lehrmeister, aber die Möglichkeiten sind nach wie vor
unerschöpflich. Es ist also auch die Instrumentation - so wie alles in
der Komposition - kein bloßes Handwerk, sie erfordert zudem Phantasie
und Einfall wie die Gestaltung einer - Melodie.
Harmonik, Polyphonie und Instrumentation sind bis ins letzte Detail im
Particell festgehalten, so dass in der Partitur nur noch
Ausführungsbestimmungen wie Vortragszeichen und Phrasierungsangaben
hinzuzufügen sind.
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