Selbstdarstellung:
Zu Beginn möchte ich auf meine mangelnde literarische und
journalistische Begabung hinweisen und den Leser bitten, dieses Elaborat
als Erzählung eines Musikers zu betrachten, der so redet, wie ihm der
Schnabel gewachsen ist.
Am 4. April 1925 wurde ich als Sohn eines Geigers geboren. Als mich mein
Vater zum erstenmal sah und meine Handerln betrachtete, sagte er zu
meiner Mutter:„Das sind Geigerfinger.“ War damit mein Lebensweg
vorgezeichnet? Mag sein - jedenfalls wuchs ich mit Musik auf und hatte
den Wunsch, auch Geige spielen zu können. Zu meinem 6. Geburtstag bekam
ich eine „halbe“ Geige, und nun begann die unvermeidliche „Kratzerei“
der ersten Monate unter ständiger Aufsicht meines Vaters. Nach zwei
Jahren kam ich zu einem Geigenlehrer - Herrn Wilhelm Maresch - der ein
Kollege meines Vaters war. Beide lehrten mich die nötige Disziplin und
bearbeiteten mein Talent mit viel Hingabe und drei bis vier Stunden
Übungszeit täglich. Der Erfolg blieb nicht aus; ich gewann
Schülerwettbewerbe und konnte mich in einigen Sparten (u. a.
Kirchenmusik) geigerisch betätigen. Nun waren die Zeiten in den
Dreißigerjahren sehr schlecht geworden, und mein Vater verlor nach
vielen Arbeitslosenzeiten auch die Unterstützung, war also
„ausgesteuert“ und ab Jänner 1937 ohne jegliche Einkünfte. Zum Glück war
in unserem Bezirk (Fünfhaus) ein Gasthaus, dessen Wirt mich vom
Kirchenchor her kannte und der meinem Vater folgendes Angebot machte:
Wenn er mich täglich von 20 Uhr bis Mitternacht in seinem
„Etablissement“ am Klavier begleitet, bekommen wir beide ein Nachtmahl,
2 (in Worten zwei) Schilling Honorar und dürfen das berühmt-berüchtigte
„Tasserl“ aufstellen - nun, besser als betteln war es auf jeden Fall;
wir spielten alles, was von uns verlangt wurde. (Das Radio war ja damals
noch in den Kinderschuhen). Vieles mußte erst für Violine und Klavier
gesetzt werden, und da begann mein erster Kontakt mit dem
Notenschreiben.
Meine Schulbildung bestand aus Volksschule, Hauptschule,
Lehrerbildungsanstalt (LBA) und Musikakademie (MA). Diese Entwicklung
hatte folgende Gründe: Bald nach Hitlers Einmarsch in Österreich 1938
hatte die nächtliche Wirtshausspielerei ein Ende. Mein Vater fand wieder
Arbeit, und ich hatte durch die vergangenen Strapazen einiges Interesse
an der Geige verloren. Meine Freizeit widmete ich nun lieber sportlichen
Herausforderungen. Einem Großonkel von mir, der eine Turn- und
Sportschule besaß, kam dieser Umschwung meiner Tätigkeiten gelegen, um
mir sein Institut als Erbschaft anzubieten, da er selbst keine
Nachkommen hatte. Zur Führung dieses Unternehmens war aber eine
Lehramtsprüfung unbedingt notwendig, und somit war mein Studium
vorgezeichnet. Bei der Anmeldung zur Aufnahmsprüfung mußte ich
gleichzeitig meine Mitgliedschaft zur Hitlerjugend (HJ) unterschreiben,
ohne die es keine Ausbildung gab. Die Prüfung selbst bestand in einem
8-tägigen HJ-Lager, wo wir ärger „geschliffen“ wurden als beim Militär.
Im September 1939 begann der Schulbetrieb, und ich wurde kraft meiner
geigerischen Qualitäten vom Musikunterricht befreit, mußte aber zwei
Vortragsabende im Jahr anbieten. Die politischen Schulungen in den
Bezirksheimabenden der HJ gingen mir schön langsam auf die Nerven, und
ich ergriff das Angebot, als Konzertmeister zu einer HJ-Musikschar zu
wechseln mit großer Freude. Dadurch wuchs meine Vorliebe für die Musik
wieder sprunghaft an, und da unser Leiter der Spielschar bald zur
Wehrmacht eingezogen wurde, übertrug man mir seine Position.
Plötzlich war ich Manager, Dirigent, Stehgeiger und Solist! Unser
Probenlokal, die Diesterwegschule in Penzing, beherbergte auch eine
Volkstanzgruppe, und durch gemeinsame Auftritte lernte ich das Mädchen
Eugenie - genannt Jenny - kennen. Aus dieser Kinder- und Jugendliebe
wurde 1946 eine Ehe, die aber 1948 wieder geschieden wurde.
In den Jahren 1940/41, in denen ich auch noch Konzertmeister in einem
Laienorchester (Neuer Wiener Musikverein) war, reifte mein Entschluß,
doch lieber Musiker als Turnschulbesitzer zu werden. Nach der obligaten
Aufnahmsprüfung für die MA wurde ich 1942 in den 3. Jahrgang der Klasse
Mairecker aufgenommen; sein Adlatus und Stellvertreter war kein
Geringerer als Willi Boskovsky. Bald wurde ich im Orchesterspiel bei den
Philharmonikern und in der Staatsoper (STOP) von meinen beiden Lehrern
getestet, und sie waren der Meinung, daß ich reelle Chancen für eine
Aufnahme hätte, nur müßte mein Übungspensum größer sein.
Doch dies war mit dem Schulbetrieb der LBA nicht zu vereinen, und so
trat ich schließlich ein Jahr vor der Matura aus und war ab nun
„hauptberuflich“ Musikstudent. Mein Entschluß stellte sich bald als
richtig heraus, denn bereits im März 1943 wurde ich nach einem
erfolgreichen Probespiel in der STOP vom damaligen Direktor Dr. Karl
Böhm als ständiger Substitut eingestellt; damit waren alle anderen
geigerischen Aktivitäten zu Ende. Nach abermaligem Probespiel im Juli
1945 war ich dann Dis 1985 ordentliches Mitglied der Primgruppe des
STOP-Orchesters, der Wiener Philharmoniker und der Hofburgkapelle. Nach
meiner Pensionierung blieb ich als jederzeit einsatzbereiter Substitut
bis 1991 tätig, und so hat sich der Kreis allmählich geschlossen.
Meine Gedanken sind davongaloppiert, und ich muß das Rad der Zeit
Jahrzehnte zurückdrehen. 1940 begannen meine ersten
Kompositionsversuche, und später an der MA hatte ich als Nebenfach
Formen- und Harmonielehre bei Ernst Ludwig Uray. Diese sorglose Zeit
änderte sich aber recht bald für mich. Knapp nach meinem 18. Geburtstag
stand der Ortsgruppenleiter der NSDAP vor der Wohnungstür und begehrte
meine Unterschrift zum Eintritt In die Partei. Mit der fadenscheinigen
Begründung, ich fühlte mich noch nicht reif dazu, lehnte ich die
Mitgliedschaft ab, was sehr rasch fatale Folgen haben sollte. Nach der
Musterung bemühten sich STOP, Philharmoniker und Reichskulturamt, mir
die unvermeidliche Einberufung wenigstens zu den Funkabteilungen zu
ermöglichen, aber die Rache der Partei war stärker, und ich landete bei
den Eisenbahnpionieren. Für die Finger eines Geigers ein Todesurteil!
Jedoch eine Widersprüchlichkeit rettete mein Leben und meinen Beruf.
Durch Ohrenoperationen als Kleinstkind litt ich unter
Gleichgewichtsstörungen (Meniere), die durch die körperliche
Schwerstarbeit und das Tragen des Stahlhelmes wieder ausbrachen und nach
bangen Monaten letztendlich zu meiner Entlassung wegen
Dienstuntauglichkeit führten - also, eine Krankheit als Lebensrettung.
(Von meiner Kompanie überlebten nur sieben Mann den Krieg).
Meine Studien und Engagements nahm ich nach kurzer Erholung wieder auf,
hatte aber nicht die Kraft für eine zusätzliche kompositorische
Tätigkeit. Nach dem Krieg kam langsam alles wieder ins rechte Lot, die
schweren Jahre des Wiederaufbaues erlaubten nur ein paar
Gelegenheitskompositionen, und erst spät, mit 34 Jahren, begann ich als
Autodidakt mit dem Kompositionsstudium. 1963 startete meine Laufbahn als
Komponist mit einer Aufführung Herbert von Karajans in einem
Philharmonischen Abonnementkonzert, und alle weiteren Ereignisse sind
meiner Kurzbiographie, meiner Werk-, Uraufführungsund Interpretenliste
zu entnehmen.
1950 heiratete ich meine jetzige Frau Ingeborg, die seinerzeit als
Gesangsstudentin mit ihrer Schwester fast täglich in der Oper - damals
im Theater an der Wien - auf dem Stehplatz war. Durch ihre musikalische
Ausbildung an der MA und ihre zeichnerische Begabung konnte sie viele
meiner Partituren und Aufführungsmaterialien (die wir vorerst 1m
Selbstverlag herausbrachten) in druckreifer Autographie herstellen und
hat damit wertvolle Hilfe zur Verbreitung meiner Werke geleistet. Die spätere
ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Verlag Doblinger hat sie dann
dieser zeitraubenden Aufgabe enthoben.
Nun noch ein paar Worte zur Situation eines heutigen Komponisten. Jeder
normale schöpferische Künstler hat das Bestreben, mit seinen Mitmenschen
und seiner Umwelt zu kommunizieren und nicht mit seinen Arbeiten in
einem gläsernen Turm zu sitzen. Natürlich soll nicht nur Angebot und
Nachfrage das Kriterium eines Kunstwerkes sein, aber ohne jegliche
Anerkennung wird auch der genialste Mensch nicht auskommen und in seiner
Entwick1ung gestört sein. Daher begrüße ich jedes individuelle ehrliche
Bemühen um die Weiterentwicklung unserer Musik, aber lehne jede
organisierte Cliquenbildung kategorisch ab - egal, ob sie politischer,
rassischer, kompositionstechnischer oder sexueller Art ist. Es muß jedem
Komponisten - gleich, welcher Richtung - in kollegialem Wettstreit die
Möglichkeit gegeben sein gehört zu werden und um seine Anerkennung zu
ringen; nur so wird sich die Spreu vom Weizen sondern. Ausschließlich
die Zukunft kann und wird entscheiden, was wertbeständig ist und was
zeitbedingt war. Außerdem möchte ich betonen, daß Kunst und Kultur
Arbeit heißt; und zwar sehr, sehr viel Arbeit. (Bei mir waren
20-stündige Arbeitstage keine Seltenheit!) So, wie ein Weingarten viele
Jahre bearbeitet werden muß, bevor er einen Ertrag abwirft, so fliegen
einem auch in der Kunst nicht die gebratenen Tauben in den Mund. Und wir
Komponisten bearbeiten unseren Kulturboden -nicht, weil wir gewaltsam
beweisen wollen, daß wir Genies sind, wie ein Kritiker einmal
geschrieben hat - weil wir Regenwürmern gleich eben diesem Kulturboden
den so lebensnotwendigen Humus erhalten wollen, in dem ein hoffentlich
kommendes künftiges Genie sein Samenkorn gedeihen lassen kann. Denn
eines müssen alle Kulturliebenden bedenken: wenn einmal eine Landschaft
verkarstet ist, so wird nie mehr eine Frucht darauf zum Reifen kommen.
Darum möchte ich als Abschluß meiner Ausführungen alle qualifizierten
Musiker, welche die Begabung zum Komponieren geschenkt bekommen haben,
aufrufen: Schreibt nach bestem Wissen und Gewissen so viel wie möglich,
laßt eure Werke nicht in der Schreibtischlade liegen, geht zu den
Verlegern, Veranstaltern und Interpreten, arbeitet intensiv an unserem
Kulturleben, an der Pflege unserer Herzen und des Geistes zum Gedeihen
und Fortbestehen unserer geliebten Musik!
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