Musikalische Dokumentation

Fritz Leitermeyer

Konzert-Vortrag-Ausstellung

Wien 1994, 29 S., Ill., Notenbeisp.

 

Inhalt

Seite

   

Programmfolge des Konzertabends

5

Walter Dobner: Protest als Katalysator. Über Fritz Leitermeyer

6

Fritz Leitmeyer: Mein Lebenslauf (war nicht immer Lieb´ und Lust)

10

Fritz Leitmeyer – Werkverzeichnis

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Tonträgerverzeichnis

19

Literatur über Fritz Leitmeyer

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Interpretenverzeichnis

22

Die Ausstellung [Bearb.: Liselotte Theiner]

24

 

Selbstdarstellung:

Zu Beginn möchte ich auf meine mangelnde literarische und journalistische Begabung hinweisen und den Leser bitten, dieses Elaborat als Erzählung eines Musikers zu betrachten, der so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
Am 4. April 1925 wurde ich als Sohn eines Geigers geboren. Als mich mein Vater zum erstenmal sah und meine Handerln betrachtete, sagte er zu meiner Mutter:„Das sind Geigerfinger.“ War damit mein Lebensweg vorgezeichnet? Mag sein - jedenfalls wuchs ich mit Musik auf und hatte den Wunsch, auch Geige spielen zu können. Zu meinem 6. Geburtstag bekam ich eine „halbe“ Geige, und nun begann die unvermeidliche „Kratzerei“ der ersten Monate unter ständiger Aufsicht meines Vaters. Nach zwei Jahren kam ich zu einem Geigenlehrer - Herrn Wilhelm Maresch - der ein Kollege meines Vaters war. Beide lehrten mich die nötige Disziplin und bearbeiteten mein Talent mit viel Hingabe und drei bis vier Stunden Übungszeit täglich. Der Erfolg blieb nicht aus; ich gewann Schülerwettbewerbe und konnte mich in einigen Sparten (u. a. Kirchenmusik) geigerisch betätigen. Nun waren die Zeiten in den Dreißigerjahren sehr schlecht geworden, und mein Vater verlor nach vielen Arbeitslosenzeiten auch die Unterstützung, war also „ausgesteuert“ und ab Jänner 1937 ohne jegliche Einkünfte. Zum Glück war in unserem Bezirk (Fünfhaus) ein Gasthaus, dessen Wirt mich vom Kirchenchor her kannte und der meinem Vater folgendes Angebot machte: Wenn er mich täglich von 20 Uhr bis Mitternacht in seinem „Etablissement“ am Klavier begleitet, bekommen wir beide ein Nachtmahl, 2 (in Worten zwei) Schilling Honorar und dürfen das berühmt-berüchtigte „Tasserl“ aufstellen - nun, besser als betteln war es auf jeden Fall; wir spielten alles, was von uns verlangt wurde. (Das Radio war ja damals noch in den Kinderschuhen). Vieles mußte erst für Violine und Klavier gesetzt werden, und da begann mein erster Kontakt mit dem Notenschreiben.
Meine Schulbildung bestand aus Volksschule, Hauptschule, Lehrerbildungsanstalt (LBA) und Musikakademie (MA). Diese Entwicklung hatte folgende Gründe: Bald nach Hitlers Einmarsch in Österreich 1938 hatte die nächtliche Wirtshausspielerei ein Ende. Mein Vater fand wieder Arbeit, und ich hatte durch die vergangenen Strapazen einiges Interesse an der Geige verloren. Meine Freizeit widmete ich nun lieber sportlichen Herausforderungen. Einem Großonkel von mir, der eine Turn- und Sportschule besaß, kam dieser Umschwung meiner Tätigkeiten gelegen, um mir sein Institut als Erbschaft anzubieten, da er selbst keine Nachkommen hatte. Zur Führung dieses Unternehmens war aber eine Lehramtsprüfung unbedingt notwendig, und somit war mein Studium vorgezeichnet. Bei der Anmeldung zur Aufnahmsprüfung mußte ich gleichzeitig meine Mitgliedschaft zur Hitlerjugend (HJ) unterschreiben, ohne die es keine Ausbildung gab. Die Prüfung selbst bestand in einem 8-tägigen HJ-Lager, wo wir ärger „geschliffen“ wurden als beim Militär. Im September 1939 begann der Schulbetrieb, und ich wurde kraft meiner geigerischen Qualitäten vom Musikunterricht befreit, mußte aber zwei Vortragsabende im Jahr anbieten. Die politischen Schulungen in den Bezirksheimabenden der HJ gingen mir schön langsam auf die Nerven, und ich ergriff das Angebot, als Konzertmeister zu einer HJ-Musikschar zu wechseln mit großer Freude. Dadurch wuchs meine Vorliebe für die Musik wieder sprunghaft an, und da unser Leiter der Spielschar bald zur Wehrmacht eingezogen wurde, übertrug man mir seine Position.
Plötzlich war ich Manager, Dirigent, Stehgeiger und Solist! Unser Probenlokal, die Diesterwegschule in Penzing, beherbergte auch eine Volkstanzgruppe, und durch gemeinsame Auftritte lernte ich das Mädchen Eugenie - genannt Jenny - kennen. Aus dieser Kinder- und Jugendliebe wurde 1946 eine Ehe, die aber 1948 wieder geschieden wurde.
In den Jahren 1940/41, in denen ich auch noch Konzertmeister in einem Laienorchester (Neuer Wiener Musikverein) war, reifte mein Entschluß, doch lieber Musiker als Turnschulbesitzer zu werden. Nach der obligaten Aufnahmsprüfung für die MA wurde ich 1942 in den 3. Jahrgang der Klasse Mairecker aufgenommen; sein Adlatus und Stellvertreter war kein Geringerer als Willi Boskovsky. Bald wurde ich im Orchesterspiel bei den Philharmonikern und in der Staatsoper (STOP) von meinen beiden Lehrern getestet, und sie waren der Meinung, daß ich reelle Chancen für eine Aufnahme hätte, nur müßte mein Übungspensum größer sein.
Doch dies war mit dem Schulbetrieb der LBA nicht zu vereinen, und so trat ich schließlich ein Jahr vor der Matura aus und war ab nun „hauptberuflich“ Musikstudent. Mein Entschluß stellte sich bald als richtig heraus, denn bereits im März 1943 wurde ich nach einem erfolgreichen Probespiel in der STOP vom damaligen Direktor Dr. Karl Böhm als ständiger Substitut eingestellt; damit waren alle anderen geigerischen Aktivitäten zu Ende. Nach abermaligem Probespiel im Juli 1945 war ich dann Dis 1985 ordentliches Mitglied der Primgruppe des STOP-Orchesters, der Wiener Philharmoniker und der Hofburgkapelle. Nach meiner Pensionierung blieb ich als jederzeit einsatzbereiter Substitut bis 1991 tätig, und so hat sich der Kreis allmählich geschlossen.
Meine Gedanken sind davongaloppiert, und ich muß das Rad der Zeit Jahrzehnte zurückdrehen. 1940 begannen meine ersten Kompositionsversuche, und später an der MA hatte ich als Nebenfach Formen- und Harmonielehre bei Ernst Ludwig Uray. Diese sorglose Zeit änderte sich aber recht bald für mich. Knapp nach meinem 18. Geburtstag stand der Ortsgruppenleiter der NSDAP vor der Wohnungstür und begehrte meine Unterschrift zum Eintritt In die Partei. Mit der fadenscheinigen Begründung, ich fühlte mich noch nicht reif dazu, lehnte ich die Mitgliedschaft ab, was sehr rasch fatale Folgen haben sollte. Nach der Musterung bemühten sich STOP, Philharmoniker und Reichskulturamt, mir die unvermeidliche Einberufung wenigstens zu den Funkabteilungen zu ermöglichen, aber die Rache der Partei war stärker, und ich landete bei den Eisenbahnpionieren. Für die Finger eines Geigers ein Todesurteil! Jedoch eine Widersprüchlichkeit rettete mein Leben und meinen Beruf.
Durch Ohrenoperationen als Kleinstkind litt ich unter Gleichgewichtsstörungen (Meniere), die durch die körperliche Schwerstarbeit und das Tragen des Stahlhelmes wieder ausbrachen und nach bangen Monaten letztendlich zu meiner Entlassung wegen Dienstuntauglichkeit führten - also, eine Krankheit als Lebensrettung. (Von meiner Kompanie überlebten nur sieben Mann den Krieg).
Meine Studien und Engagements nahm ich nach kurzer Erholung wieder auf, hatte aber nicht die Kraft für eine zusätzliche kompositorische Tätigkeit. Nach dem Krieg kam langsam alles wieder ins rechte Lot, die schweren Jahre des Wiederaufbaues erlaubten nur ein paar Gelegenheitskompositionen, und erst spät, mit 34 Jahren, begann ich als Autodidakt mit dem Kompositionsstudium. 1963 startete meine Laufbahn als Komponist mit einer Aufführung Herbert von Karajans in einem Philharmonischen Abonnementkonzert, und alle weiteren Ereignisse sind meiner Kurzbiographie, meiner Werk-, Uraufführungsund Interpretenliste zu entnehmen.
1950 heiratete ich meine jetzige Frau Ingeborg, die seinerzeit als Gesangsstudentin mit ihrer Schwester fast täglich in der Oper - damals im Theater an der Wien - auf dem Stehplatz war. Durch ihre musikalische Ausbildung an der MA und ihre zeichnerische Begabung konnte sie viele meiner Partituren und Aufführungsmaterialien (die wir vorerst 1m Selbstverlag herausbrachten) in druckreifer Autographie herstellen und hat damit wertvolle Hilfe zur Verbreitung meiner Werke geleistet. Die spätere ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Verlag Doblinger hat sie dann dieser zeitraubenden Aufgabe enthoben.
Nun noch ein paar Worte zur Situation eines heutigen Komponisten. Jeder normale schöpferische Künstler hat das Bestreben, mit seinen Mitmenschen und seiner Umwelt zu kommunizieren und nicht mit seinen Arbeiten in einem gläsernen Turm zu sitzen. Natürlich soll nicht nur Angebot und Nachfrage das Kriterium eines Kunstwerkes sein, aber ohne jegliche Anerkennung wird auch der genialste Mensch nicht auskommen und in seiner Entwick1ung gestört sein. Daher begrüße ich jedes individuelle ehrliche Bemühen um die Weiterentwicklung unserer Musik, aber lehne jede organisierte Cliquenbildung kategorisch ab - egal, ob sie politischer, rassischer, kompositionstechnischer oder sexueller Art ist. Es muß jedem Komponisten - gleich, welcher Richtung - in kollegialem Wettstreit die Möglichkeit gegeben sein gehört zu werden und um seine Anerkennung zu ringen; nur so wird sich die Spreu vom Weizen sondern. Ausschließlich die Zukunft kann und wird entscheiden, was wertbeständig ist und was zeitbedingt war. Außerdem möchte ich betonen, daß Kunst und Kultur Arbeit heißt; und zwar sehr, sehr viel Arbeit. (Bei mir waren 20-stündige Arbeitstage keine Seltenheit!) So, wie ein Weingarten viele Jahre bearbeitet werden muß, bevor er einen Ertrag abwirft, so fliegen einem auch in der Kunst nicht die gebratenen Tauben in den Mund. Und wir Komponisten bearbeiten unseren Kulturboden -nicht, weil wir gewaltsam beweisen wollen, daß wir Genies sind, wie ein Kritiker einmal geschrieben hat - weil wir Regenwürmern gleich eben diesem Kulturboden den so lebensnotwendigen Humus erhalten wollen, in dem ein hoffentlich kommendes künftiges Genie sein Samenkorn gedeihen lassen kann. Denn eines müssen alle Kulturliebenden bedenken: wenn einmal eine Landschaft verkarstet ist, so wird nie mehr eine Frucht darauf zum Reifen kommen.
Darum möchte ich als Abschluß meiner Ausführungen alle qualifizierten Musiker, welche die Begabung zum Komponieren geschenkt bekommen haben, aufrufen: Schreibt nach bestem Wissen und Gewissen so viel wie möglich, laßt eure Werke nicht in der Schreibtischlade liegen, geht zu den Verlegern, Veranstaltern und Interpreten, arbeitet intensiv an unserem Kulturleben, an der Pflege unserer Herzen und des Geistes zum Gedeihen und Fortbestehen unserer geliebten Musik!