Selbstdarstellung:
Geboren wurde ich am 27. 11. 1924 in Rudolstadt/Thüringen. Somit müßte
ich sagen, daß Rudolstadt nicht nur mein Geburts-, sondern auch mein
Heimatort gewesen sei. Ich frage mich: Stimmt das? War ich wirklich dort
"zu Hause"? Ich habe mich dort nie so gefühlt, nie habe ich die Stadt,
die Nachbarn und das Elternhaus geliebt. Man schickte mich auf das
dortige Gymnasium, doch ich hatte größte Schwierigkeiten mit den
Fremdsprachen -eine Schwierigkeit, die ich bis heute nicht überwunden
habe. Noch immer fällt es mir schwer, ja, es ist mir unmöglich, mich in
einer anderen Sprache auszudrücken. Nach drei Jahren Gymnasialzeit
wechselte ich auf die dortige Aufbauschule, doch die Pleite mit der
Schule wurde nicht besser; ich war nicht nur ein schlechter Schüler,
sondern auch ein Revolutionär. Kam noch der Klassenlehrer dazu, ein
gewisser Herbert Brauer, der ein fanatischer Nationalsozialist war. Nun,
ich war ein solcher nicht, die Erziehungsversuche des Herrn Brauer, mich
zum Nazi zu machen, scheiterten, und somit flog ich in hohem Bogen ein
Jahr vor dem Abitur von der Schule. Es war fast der herrlichste
Augenblick meines damaligen Lebens: Nun konnte ich endlich ohne Abitur
mein Musikstudium in Weimar beginnen, was ich auch sofort mit
Begeisterung tat. Ich studierte Klavier und Flöte (auf dieser war ich
schon ziemlich weit) und Komposition bei unserem Theorielehrer Sigfrid
Walter Müller. Im dritten Semester trat ich mit Carl Weiss (Klavier)
zwecks Spiels des 5. Brandenburgischen Konzerts auf.
Leider war diese schöne Zeit bald vorbei, denn im Herbst 1942 wurde ich
Soldat. Soldat? Eine unmilitärische Witzfigur ist wohl das bessere Wort.
Dennoch, man schickte mich 1943 nach Rußland an die dickste Front. Doch
ich hatte Glück: ein Volltreffer auf unsere Funkstelle kostete drei
anderen das Leben, mir brachte es nur eine schwere Verletzung ein. Durch
diesen erhielt ich zwei schwere Nervenschüsse: am rechten Fuß und am
rechten Arm. Die Lähmung am Fuß ging zurück, die rechte Hand jedoch
blieb gelähmt trotz einer Nervennaht, die man in Eisenstadt bei Jena
versuchte und die mißlang. Somit blieb meine rechte Hand für immer
gelähmt, und der geliebte Beruf des Musikers schien in weite Feme
gerückt. Trotzdem begann ich nach dem Krieg mutig mit dem fast
aussichtslos scheinenden Musikstudium: ich studierte wieder in Weimar
Dirigieren (bei Hermann Abendroth), Opernregie (bei Ernst Kranz), ein
Kompositionsstudium war leider nicht möglich, denn der betreffende
Lehrer (Kurt Rasch) war kein Komponist, sondern eine Witzfigur.
1947 wurde ich als Regieassistent an das Stadttheater Jena engagiert,
dort gab es keinen Regisseur. Somit hatte ich Glück und kam sehr bald zu
eigenen Inszenierungen. Meine erste Arbeit war "Die lustigen Weiber von
Windsor", die einen erstaunlichen Erfolg hatten. Es folgten dann: "Rigoletto",
"Jolanta" (Tschaikowsky), "Die verkaufte Braut", und in der nächsten
Spielzeit konnte ich als Regisseur nach Sondershausen gehen, wo ich "Die
lustigen Weiber von Windsor", "Butterfly", "Wildschütz" und "La
Traviata" inszenierte. Der Grund meines Übergangs nach Sondershausen war
ein persönlicher: ich war verliebt in eine Sängerin, die mich durchaus
heiraten wollte, was sie dann auch schaffte. Nach fünf Vierteljahren
ließen wir uns wieder scheiden, denn diese Ehe war nicht das richtige.
Immer war es das gleiche mit Frauen: alle wollten mich heiraten, aber
den harten Weg, der zum künstlerischen Gipfel führt, wollte keine
mitgehen.
Dann kam wohl der wichtigste Augenblick in meinem Leben: Im Herbst 1950
begegnete ich Boris Blacher. Diese Begegnung kann ich nur als
"Einmaligkeit" ansehen. Er riet mir dringend, die bisher in den
Mittelpunkt gestellten Dinge zu vergessen und mich nur auf ein
Kompositionsstudium bei ihm zu konzentrieren. Am Anfang hatten wir
kleine Verständigungsschwierigkeiten, doch bald fanden wir den Weg einer
gemeinsamen Sprache zueinander, und schon entwickelte sich ein
großartiges Verständnis zwischen uns. Blacher eröffnete mir eine neue
Welt, von der ich bis dahin nichts geahnt hatte. Er zeigte mir, wie ein
Stück aufgebaut werden müsse, damit es auch wirklich ein Stück ist.
Seine fachlichen Kenntnisse und seine Fähigkeiten, diese zu übermitteln,
waren so großartig, daß ich daran zweifle, ob nach seinem Tode eine
ähnliche Persönlichkeit an diese Stelle zu setzen wäre. Die anfänglichen
Schwierigkeiten, die ein Studium in West-Berlin mit sich brachten,
konnte ich mit einigen Opfern überwinden. Ich erhielt nur ein sehr
kleines Stipendium, mußte mir mit Nebenarbeiten Geld verdienen, aber ich
kam durch.
Im Herbst 1951 schrieb ich meine ersten wesentlichen Kompositionen, u.a.
die "Sonate für zwei Klaviere", die mich schlagartig international
bekannt machte. Natürlich kann ich heute nicht sagen, wie weit Blacher
zu diesem Erfolg mitgeholfen hat, doch auf seine Fürsprache hin landete
ich beim Musikverlag Bote & Bock, dort wurde dieses Stück sofort
gedruckt, und heute existiert es in der Schallplattenreihe des Deutschen
Musikrates "Zeitgenössische Musik in der Bundesrepublik". Den Erfolg
dieses Stücks habe ich dem mir befreundeten Pianisten Mordechai
Sheinkman zu verdanken, der sich als Interpret selbstlos für dieses
Stück einsetzte. Sheinkman, ein jüdischer Amerikaner und großartiger
Pianist, kam damals nach Berlin, um bei Blacher Komposition zu
studieren. Uns verband eine sehr große Freundschaft, viel später dann
gab Sheinkman unverständlicherweise die Musik auf und beging kürzlich in
New York Selbstmord. Der dritte im Bunde war ein anderer Pianist, Horst
Göbel aus Berlin, mit dem ich heute noch eng befreundet bin und der ein
großartiger Interpret meiner Stücke ist.
Dann machte Werner Egk eine Ausschreibung über ein Stück für sein
Schulorchester (nur für die besten Streicher), die ich mit meinem
"Capriccio" gewann. Dieses Stück wurde von ihm in Darmstadt
uraufgeführt. 1952 erhielt ich einen Kompositionsauftrag der Berliner
Festwochen, für diese eine Kammeroper zu schreiben. Ich wählte die
"Fabel in C" (eigener Text), sie wurde auf den Festwochen ausgepfiffen.
Damals hielt ich mich für einen kommenden Opernkomponisten, doch
inzwischen habe ich eingesehen, daß ich das nicht bin. 1953 schrieb ich
auf Göbels Wunsch ein Klaviertrio, denn er war gerade dabei, ein Trio zu
gründen. Doch die Mitspieler Göbels konnten und wollten das Stück nicht
spielen. So landete die Uraufführung beim Biling-Trio. Gottlob hat Göbel
seine Mitspieler ausgetauscht und leitet jetzt unter seinem Namen ein
großartiges Trio, das auch mein Trio auf CD eingespielt hat.
1954 schrieb ich ein Stück, das ich für besonders wichtig halte: die
"Impression". Ich war damals völlig unglücklich verliebt, wie man es nur
in ganz jungen Jahren sein kann, und die Reaktion auf diesen Zustand
ergab eben dieses Stück. Es ist in einer großartigen Interpretation
unter Peter Keuschnig auf der CD der "Akademie der Künste" erschienen.
1956 teilte mir Egk mit, daß er für das Frankfurter Musikfest eine
Uraufführung suche, und fragte mich, ob ich eine für ihn hätte. Ich
setzte mich sofort hin und schrieb die "Sinfonietta giocosa", die dann
dort als op. 14 uraufgeführt wurde.
Ich muß hier erwähnen, daß ich mir inzwischen neue Gebiete erarbeitet
hatte: Schauspiel- und Filmmusiken. So wurde ich am Theater des
Kurfürsten-Dammes bei Oscar Fritz Schuh dessen "Hauskomponist", nachdem
ich mit meiner Musik zu Strindbergs "Traumspiel" großen Erfolg gehabt hatte. Auch in kleineren Filmgesellschaften
wurde ich der "Hauskomponist". Die wichtigste Arbeit in dieser Zeit aber
war meine Oper "Julietta" nach Kleists Novelle "Die Marquise von 0...",
deren Text ich selbst schrieb. Diese Oper reichte ich stolz bei den
Salzburger Festspielen ein, nach einem Vorspiel vor Karajan wurde das
Stück angenommen und dort 1959 uraufgeführt. Obwohl die Besetzung
großartig war, konnte und kann ich die schlechten Kritiken des Stücks
nicht verstehen. Bis heute nicht. Ich hoffe sehr, daß auch dieses Stück
demnächst auf CD erscheinen wird.
Doch nun muß ich um Jahre zurückgreifen und erzählen, daß ich 1957
Berlin verlassen hatte, denn ich hatte mir (nach div. Preisen) ein
Bauernhaus im Pinzgau, hoch auf dem Berg gelegen, gekauft, das ich nun
bezog, nach meinen Plänen einrichtete und somit endlich einen Platz
gefunden hatte, wo ich mich zu Hause fühlen und in Ruhe arbeiten konnte.
Auch die nächsten Stücke entstanden hier: das "Pavimento", das mir den
Beethoven-Preis der Stadt Bonn einbrachte, sowie das 1. Klavierkonzert
und die 1. Sinfonie (beide Stücke liegen auf CD vor). Als wichtigste
Arbeit dieser Zeit nenne ich die "Drei Chöre nach Texten von Nelly
Sachs", die zum Gedenken des Todes von Hanns-Martin Schleyer in
Esslingen uraufgeführt wurden.
1973 erhielt ich den Würdigungspreis für Musik des österreichischen
Bundesministeriums für Unterricht und Kunst. Zur gleichen Zeit wurde ich
in die "Akademie der Künste Berlin" als Mitglied aufgenommen. 1985
verlieh mir der österreichische Bundespräsident den Titel "Professor",
denn österreichischer Staatsbürger war ich bereits seit 1964.
An Kompositionen wären noch zu nennen: "Ruth", Ballett nach dem
biblischen Vorwurf von G. Hoffman, uraufgeführt 1959 an der Staatsoper
Wien; "Das hohe Lied Salomos" für Sopran und Bariton mit Klavier oder
Orchester, ein Auftragswerk der "Akademie Berlin". Dann folgte bald die
2. Sinfonie, uraufgeführt in Wien, doch bald produziert am Sender Freies
Berlin. Der Verlag dieses Stückes ist Doblinger in Wien. 1m gleichen
Verlag erschien die 3. Sinfonie, die am 4. VIII. 1992 in Wien
uraufgeführt wurde. Die 4. und die 5. Sinfonie ruhen noch auf meinem
Schreibtisch.
Vor vier Jahren erlitt ich einen schweren Unfall im Gebirge. Es ist mir
unmöglich, Einzelheiten anzugeben, denn ich kann mich an nichts mehr
entsinnen. Nur die Tatsache, daß ein Arzt und ein Hubschrauber in der
Nähe waren, rettete mir wahrscheinlich das Leben. So wurde ich in das
Krankenhaus Klagenfurt abtransportiert. Gegen alle düsteren Prognosen
der Ärzte rappelte ich mich wieder hoch, auch das in Mitleidenschaft
gezogene Gedächtnis besserte sich allmählich. Es wurde mir
ärztlicherseits dringend geraten, nicht wieder in mein Haus auf dem
Pinzgauer Berg zu ziehen, auch das Bergsteigen und Schifahren wurde mir
untersagt. Ich wurde hier in Baden in das "Hilde Wagener-Heim"
eingewiesen, doch schon nach einem halben Jahr war ich so weit, daß ich
mir selbständig eine kleine Wohnung mieten konnte. Hier sitze ich nun,
arbeite fleißig und hoffe, hier als "Sinfoniker" zu sterben.
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