Selbstdarstellung:
Weder rücksichtslos bin ich noch
bedenkenlos. Egoist bin ich sicher. Doch halte ich die Meinung anderer
stets wichtiger als die eigene.
Widersprüche? Ich habe allmählich gelernt, eine Trennung vorzunehmen
zwischen den realen Lebensanforderungen, zu denen mein Beruf und meine
Familie gehören, und der Welt meiner musikalischen Vorstellungen. Ich
will nicht verheimlichen, daß ich an der Erfüllung der Forderung leide,
häufig die beiden Hälften meines Ichs tauschen zu müssen.
Schon als Kind war ich gerne Einzelgänger. Im ersten Lebensjahrzehnt von
meinen Eltern als Einzelkind mit liebevoller Strenge umsorgt, materiell
nie verwöhnt, konnte ich mich anschließend der Eingliederung in die
Masse entziehen. Es war die Zeit, da ich als Zögling im Schülerheim der
westböhmischen Stadt Mies allein Wanderungen unternahm; es war die Zeit,
da ich keine Möglichkeit hatte zum Klavierüben und trotzdem bei einem
Wettbewerb in Reichenberg Preisträger wurde. Später, während der
drückenden materiellen Sorgen der frühen Nachkriegszeit, darf ich als
Beispiel meines Individualismus eine Solo-Reise per Rad an die Nordsee
und zurück nennen. Auch meine späteren Bergerlebnisse gehören dazu.
Rückblickend glaube ich, daß durch die Fülle der eigenen Gedanken und
Phantastereien kein Bedürfnis vorhanden war nach weiterer Zerstreuung
und Unterhaltung. Nie galt ich als geselliger Mensch, wenn ich mich auch
bis heute bemühe, in Gesellschaft kein Spielverderber zu sein.
So gut sie es konnten, hatten meine Eltern die realen und die
phantastischen Anlagen in mir gefördert. Durch ein zielstrebiges Studium
konnte ich meinerseits nun die materielle Absicherung unseres Lebens
schaffen. Ich konnte nicht ahnen, daß die Annahme einer Lehrstelle in
Krems den Komponisten in mir behindern sollte. Bedenkenlos ließ ich die
in Wien vorhanden gewesenen persönlichen Verbindungen und
Bekanntschaften verkümmern. Es war die Zeit (1953-1962), in der ich viel
als Kammermusik-Pianist tätig war, in der ich zahlreiche Aufführungen
initiiert habe, von Solo-Abenden bis zu mehreren szenischen
Opernaufführungen. Nach dreizehn Jahren Tätigkeit in Niederösterreich
(das mir zur zweiten Heimat geworden ist) mußte ich erkennen, daß ich
nach Wien gleichsam als Neuling, als schon wieder Unbekannter
zurückkehrte.
Vorher konnte ich bei den Jugendkulturwochen in Innsbruck gute Kritik
und Publikumserfolg für meine dort aufgeführten Werke bekommen, wurde
aber von der sich dort etablierenden Avantgarde-Gruppe als „Romantiker"
beschimpft. Ich befand mich zwischen den Fronten: von der Avantgarde
verachtet und von einem zweifellos zur Tradition hin orientierten
„romantischen Realisten" (wie er sich selbst bezeichnete) Joseph Marx
als verrückter Neutöner verschrieen. Als Komponist war ich heimatlos.
Ich suchte und fand nie Anschluß an eine Gruppe, wenn man von den
wenigen Jahren der „Arbeitsgemeinschaft Junge Komponisten" absieht
(frühe 50er Jahre), wo Kompositionen u.a. von Brandstätter, Cerha,
Polzer, Pühringer, Prem, Temnitschka und Trunkenpolz aufgeführt wurden.
Vereinzelte Versuche, eine weitergehende Werkförderung zu erreichen,
blieben erfolglos. Mit Ausnahme der Finanzhilfe zur Drucklegung des
Klavierauszugs meiner Oper „Sultan zu verkaufen". Sicher bin ich ein
schlechter Manager meiner eigenen Werke. Weitgehende Werkförderung
mittels Preisen gibt es selten. Die zahlreichen inländischen
Kompositionspreise waren zwar finanziell willkommen, doch schloß sich an
keinen der größeren Preise eine Förderung der gepriesenen Komposition
an. Das Bundesministerium für Unterricht und Kunst ist trotz des
öffentlichen Versprechens des Bundesministers anläßlich des Festaktes
zur Verleihung des Staatlichen Förderungspreises 1972 (früher
"Staatspreis" genannt) bis jetzt die Aufführung der damals
preisgekrönten Werke schuldig geblieben. Anders im Ausland: Ein "Premio
Citta di Trieste" beinhaltete die dortige Uraufführung meiner "Symphonie
op. 34"; sie wurde dann in Österreich mehrmals nachgespielt.
Hätte ich keine Aufführungserfolge, ich würde trotzdem komponieren. Nur
würde ich mich wahrscheinlich zwingen, mehr als jetzt meiner Familie zur
Verfügung zu stehen. Durch die Erfolge wird mein diesbezüglich
schlechtes Gewissen nicht genügend beruhigt. Einen Mittelweg zu finden
ist schwer, vielleicht sogar unmöglich. Den Willen dazu habe ich. Ob's
genügt?
Da ich, wie oben erwähnt, meinen Werken wenig Förderungen und
Empfehlungen mit auf die Reise geben kann, da meine Kompositionen aber
beim Publikum erwiesenermaßen überdurchschnittlich gut ankommen, sehe
ich gelassen und zufrieden in meine Komponistenzukunft. Wenn ich auch
eine Empfehlung z.B. meiner beiden Opern gerne in Anspruch nähme: Vom
Erfolg meiner Werke muß ich keinen Prozentsatz eines wie immer gearteten
Lobby-Anteils abziehen!
Das Verhältnis zu Komponistenkollegen müßte ein feindschaftliches sein,
was ihre Werke anbelangt. Sollte ich von ihnen konkordant angesprochen
werden, müßte ich mit ihren Stil- und Ausdrucksmitteln arbeiten, müßten
meine Intentionen beim Komponieren die gleichen sein wie ihre. Und ich
stelle mit Befriedigung fest, daß meine musikalischen Vorstellungen
anders sind als die mir bekannter lebende Komponisten.
Ich komme daher bei der Frage nach meiner persönlichen Einschätzung
eines nicht von mir stammenden zeitgenössischen Werkes in Verlegenheit.
Da es nicht meinen Intentionen entspricht, kann es auch nicht meine
volle Zustimmung erhalten. Dennoch bin ich realistisch genug zu wissen,
daß persönliche Maßstäbe durch die Linse des eigenen Geschmacks der
Objektivität entzogen sind. Man erlaube mir, angesichts der Gefahren von
Isolation und von verzerrter Selbsteinschätzung, meine eigenen Maßstäbe
rücksichtslos und für mich ausschließlich gelten zu lassen. Niemand wird
mir vorwerfen können, daß ich aus dieser Einstellung heraus ein Werk
eines Komponistenkollegen verdammt hätte.
Meine Rücksichtslosigkeit beim Komponieren muß sich dem Hörer nicht
offenbaren und bedarf daher einer Erklärung. Meine musikalischen
Gedanken sind ausgerichtet auf alle akustischen Phänomene, die es gibt.
Wenn ich z.B. Kollagen von Umweltgeräuschen nicht verwende, dann nur aus
Gründen meines Geschmacks, Würde er sich dahingehend ändern, weitete ich
bedenkenlos (in der Bedeutung von rücksichtslos) meine Musik dahingehend
aus. Ich registriere mit viel Interesse die Versuche und Ergebnisse der
Experimentalisten und lasse meinen Geschmack ungehindert davon
beeinflussen. Ungehindert beeinflußt wurde und wird mein Geschmack aber
auch von der Musik der Vergangenheit, ohne dabei die Hauptblickrichtung
im Sinne des Rück-Sichtnehmens dorthin gewendet zu haben. Ich lasse mich
ohne Zweifel von der Tradition beeinflussen. Für mich gibt es in die
Vergangenheit und in die Zukunft keine Grenzen: Komponieren ist für mich
grenzenlose Freiheit.
Primär beim Komponieren ist meine akustische Vorstellung. Als
gefühlsabhängiger Komponist war daher die Beschimpfung "Romantiker"
gerechtfertigt. Ich verheimliche keinesfalls meine ehemals romantischen
Vorbilder: Ohne Bruch hat sich mein Kompositionsstil von damals zu
meiner heutigen Ausdrucksweise entwickelt. Und ich bin überzeugt davon,
daß ein aufgeschlossener Musikhörer allmählich diese Entwicklung
nachvollziehen wird können.
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