Musikalische Dokumentation

Cesar Bresgen

Ausstellung

Wien 1982, 23 S., Ill., Notenbeisp.

 

 

Inhalt:

Seite:

   

Cesar Bresgen über sein Komponieren

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Programmfolge des Konzertabends

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Friedrich C. Heller: Aus der Sicht des Freundes

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Cesar Bresgen – Werkverzeichnis seit 1974

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Bresgen–Werke  auf Schallplatten

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Die Ausstellung [Bearbeitung Liselotte Theiner]

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Selbstdarstellung:

In seiner 1912 verfaßten Untersuchung zum Frühwerk Arnold Schönbergs schrieb Anton Webern: "Die Erlebnisse seines Herzens wurden zu Tönen, Schönbergs Verhältnis zur Kunst wurzelt ausschließlich im Ausdrucksbedürfnis." Würde man mich fragen, warum ich komponiere (und es gibt immer Leute, die derartiges fragen), so könnte ich ähnlich antworten. Selten nur habe ich darüber in kühler Distanz nachgedacht. Selten auch oder zumindest nur unwillig habe ich Auskünfte erteilt über bestimmte Methoden, Strukturprinzipien oder Stileigentümlichkeiten, welche manche Komponisten wie große Geheimnisse hüten. Warum ich mich diesem Beruf verschrieben habe, der ja obendrein noch angereichert wird durch Unterrichten, Schreiben, Zeichnen und Forschen, ist schwer zu sagen. Im Alter von 16 Jahren hatte mich die Mykologie (Pilze) fast ebenso beschäftigt wie die Musik, obwohl ich seit dem 14. Lebensjahr komponiere. Im 17. Lebensjahr fiel dann die Entscheidung zugunsten der Musik.
Was ich unter "Schreiben" verstehe, ist leichter zu erklären: frühzeitig erwachte das Streben, für gewisse szenische Vorhaben die Texte selber zu verfassen. So schrieb ich mir die Libretti zu den Märchenopern ("Igel", "Mann im Mond"), nicht zuletzt zu den beiden abendfüllenden Opern ("Paracelsus" [im Krieg verbrannt] und "Der Engel von Prag") selbst. Anderseits suchte ich seit eh und je die Anregung durch eine qualifizierte Dichtung, die mich inhaltlich wie sprachlich in ihren Bann zog. Magneten besonderer Art waren sehr früh Joseph von Eichendorff und - schon während des Krieges - Hans Carossa und Josef Weinheber, später dann Georg Trakl, der mich bis heute beschäftigt. Auch die höchst subtile und doch dynamische Sprache des Senegalesen Léopold S. Senghor, die ich unübersetzt (französisch) vertonte, hat mich angelockt; jüngstens die genial-skurrile Sprachkunst H. C. Artmanns, zu dessen Texten ich einen Gitarren-Zyklus mit Sprechstimme schrieb. Überblicke ich die zahllosen Anregungen durch Dichtung - der Raum verbietet mir ein Eingehen auf die aus mittelalterlicher Dichtung (etwa Mönch von Salzburg oder Oswald von Wolkenstein) empfangenen Impulse - so steht die breit gefächerte Front von Anregungen aus der Welt der Bilder, mit oder ohne Farbe, dicht daneben. Vielleicht hat mich diese schon in den frühesten Jahren musikalisch geprägt, wobei hinzuzufügen ist, daß beide Eltern Maler waren, mein noch lebender Vater (94) außerdem Bildhauer und die Mutter (gest. 1957) ausgebildete Pianistin (ihr Lehrer war August Göllerich in Linz). Nun bin ich keineswegs imstande, klar zu definieren, welche spezifischen Elemente eines bildnerischen Kunstwerks die sogenannte musikalische "Inspiration" hervorrufen. Mein von mir mehrmals gestalteter Zyklus nach Holbeins "Bilder des Todes" war 1946 ausschließlich für 2 Klaviere geschrieben, ein musikalischer "Farbton", der mir den Holzschnitten Holbeins am ehesten zu entsprechen schien. Ferner: wie Holbein die in immer neuen Varianten erscheinende Hauptgestalt, den Tod, gestisch und dynamisch wandelt, so versuchte auch ich, eine Grundmelodie ("Der grimmig Tod mit seinem Pfeil") in immer neuen Wandlungen, mit neuen Kontrapunkten und Verfremdungen durch das ganze zyklische Werk hindurchzuführen. Von einer Illustration der Holbein'schen Bilder konnte natürlich keine Rede sein. Vielmehr bestand mein Streben darin, als heutiger Musiker mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln auszudrücken, was diesen Meister vor rund 400 Jahren bewegt haben mag.

Manche später ausgeführte Komposition hat bei mir ihren Ursprung in der Improvisation (Orgel oder Klavier), auch habe ich in früheren Jahren oft zum Ausdruckstanz improvisiert (u.a. bei Mary Wigman und Leslie Burrowes in London 1933) und viel aus der Beobachtung gelernt, - ein Grund vielleicht, warum ein Teil meiner Kompositionen mit Tanz zu tun hat (z.B. das Ballett "Apollon und Marsyas" oder die Orchestersuite "Zorzikos"). In diesem Zusammenhang möchte ich auch die aus Liedpflege und Liedforschung erhaltenen Anregungen nicht verschweigen. War es in jungen Jahren zunächst das deutsche und böhmische Lied, das ich musikalisch aufgriff, so kam es später, vor allem durch das Beispiel Bart6k, zu einem Ausgreifen auf globale Weite, das manche Spuren in meiner künstlerischen Arbeit hinterlassen hat. Legitim erschien es mir zeitlebens, von dem reich tradierten Material nicht nur forschend, sondern auch komponierend, oft auch mit alten Mitteln Neues erfindend, Gebrauch zu machen. Ich betone das, weil ich zu den Leuten gehöre, die das Wort "Tradition" noch achten; dies allerdings ganz im Sinne Strawinskys. Er sagt: "Die Tradition ist etwas ganz anderes als eine Gewohnheit.... ein bewußt Erworbenes, das die Tendenz hat, mechanisch zu werden. Die wahre Tradition ist nicht Zeuge einer abgeschlossenen Vergangenheit; sie ist lebendige Kraft, die die Gegenwart anregt und belehrt." In diesem Sinne war und ist mir Igor Strawinsky stets Vorbild geblieben, so sehr mich Werk und Person eines Paul Hindemith, Bela Bart6k, später eines Alban Berg und Anton Webern angesprochen, ja fasziniert haben. Webern in besonderem Maße, nicht etwa, weil ich diesem vereinsamten Mann noch in seinen letzten Lebensmonaten in Mittersill wiederholt begegnet bin, vielmehr, weil er, wie ich glaube, ein neues musikalisches Denken provoziert hat. Provocare heißt hervorlocken, hervorrufen; wir stehen heute mitten in einem Prozeß fortwährender Provokation: Umschichtungen, Wandlungen unverrückbar geglaubter Grundsätze, fundamentale Veränderungen unseres Denkens. Sie alle gehen den Künstler zutiefst an. Der Künstler, "stellvertretend für die Gesellschaft" (Kokoschka), kann sich diesen Provokationen gar nicht entziehen. Einer späteren Generation wird es vorbehalten sein zu entscheiden, was an wirklich Neuem seit den Tagen Weberns ans Licht getreten ist. Mir selbst liegt allerdings kaum daran, mich als Spiegelfechter ewig-junger Avantgarde oder wohlgezielter Provokation zu üben, ebenso wenig, dem Publikum "Gefälliges" anzubieten, mich etwa jeweiliger Mode oder jeweiligem Geschmack anzubiedern. Ich wollte immer, daß meine Musik "klingt" und dem jeweiligen Hörer, gleich ob im Konzert, in der Kirche, in Schule und Haus Freude bzw. Eindruck macht; das gilt ganz besonders für den ausführenden Spieler. Diese, für meine einstigen Lehrer Joseph Haas und Paul Hindemith typischen Grundsätze, sind, bei aller Hinwendung in neue und auch umfassendere Hörbereiche, bis zur Stunde dennoch auch die meinigen geblieben.


Cesar Bresgen
Im September 1982