Selbstdarstellung:
Es geht darum, aus der Fülle banaler
Begebenheiten meines Lebens etwas herauszufiltern, das vielleicht
Interesse finden könnte und das ich darum hier erwähnen möchte.
1984 hat für mein Schicksal zwei Jubiläen gebracht, die für den ersten
Abschnitt meines Lebens wichtig und entscheidend wurden. 50 Jahre (1934)
sind es her, daß ich als Kind mit meinen Eltern nach Deutschland kam und
40 Jahre (1944) sind vergangen, daß sich dieses Kapitel abschloß mit dem
Beginn meiner Zeit in der Kriegsgefangenschaft. Die dazwischenliegenden
Jahre haben gewiß aus mir einen Musiker gemacht. Das Mitsingen im
Leipziger Thomanerchor, die Zeit meiner Aushilfstätigkeit als Flötist in
manchen Programmen des Gewandhausorchesters, erste Erfahrungen in der
Kammermusik und die starken Eindrücke großer Musiker und großer
Persönlichkeiten, wie Karl Straube, Theodor Biebrich und meines
Flötenlehrers Carl Bartuzat haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Zeitlich
davor liegt die Zeit im Elternhaus mit dem Eindruck von Harmonie und
Glück der Kindheit, aber auch mit der Selbstverständlichkeit, daß der
Mensch erst mit dem Musiker anfängt, als solcher diskutabel zu werden.
Ohne Zweifel hat mein Vater meine ganze Jugend von Anfang an aufs
entschiedenste beeinflußt und geprägt. Einerseits habe ich bei ihm,
spielend und nachahmend, alle Facetten des musikalischen Handwerks und
die dazugehörige Weltanschauung gelernt. Anderseits hat er aber auch
klargestellt, daß Musik ein edler Teil unseres Lebens sei, daß man aber
auch dieses ganze Leben kennen müsse. Mit anderen Worten, er hat einen
umfassenden Bildungsanspruch an mich gestellt und ich bemühe mich noch
heute, diesem nachzukommen. Die folgenden Ereignisse der Gefangenschaft
möchte ich insoweit übergehen, als ich annehme, daß jedermann weiß, daß
das für keinen ohne Schrammen abgegangen ist. Ein russischer Freund, dem
ich vor kurzem einiges erzählte, meinte dazu aber: "Sie haben wirklich
ein romantisches Leben gehabt." Ich hatte das bisher nicht so empfunden,
muß aber zugeben, daß mein Schicksal von unglaublichem Glück begünstigt
war, in der Gestalt einiger weniger Personen auf der russischen Seite,
die mein Leben retteten, meine Wunden pflegten und schließlich meine
recht frühe Heimfahrt ermöglichten. Das wird für mich immer ein Wunder
reiner Menschlichkeit bleiben. Die Liebe zu diesen Menschen und zur
russischen Sprache ist mir davon geblieben.
Die für mich schwierigen Jahre und die teilweise chaotischen Probleme
der Nachkriegsjahre in Salzburg, Tübingen und Stuttgart möchte ich
übergehen. Wesentlich daran ist, daß ich sie überwinden und daß ich sie
durch meinen Beginn in Wien abschütteln konnte. Dr. Hans Sittner hat mir
zu diesem Beginn geholfen und darum meinen unvergänglichen Dank.
Wien brachte mir die allmähliche geistige Lösung von meinem Vater und in
der Folge die Findung meiner selbst.
Das Jahr in Rom und die 7 Jahre in Teheran betrachte ich als Gewinn
neuer Dimensionen. Dazu gehören erstens viele Sprachen und kulturelle
Einsichten, die erst den Stil meines heutigen Lebens möglich machen.
Der Orient brachte mich in Beziehung zum Wesen seiner Menschen und
erweckte in mir eine verstärkte Sensibilisierung des Lebens und bewirkte
dadurch auch eine Wendung zu noch mehr Ausdruck in der Kunst.
Gerne wollte ich ein Wort von Hokusai etwas abwandeln und für mich
ummünzen:
Ich habe immer gerne und viel gearbeitet, war am Anfang leider
eigensinnig und stolz. Ich wollte immer nur tun, was mir Freude und
Vergnügen bereitete und hatte es daher immer besonders schwer. Langsam
erkannte ich, daß Musik erst jenseits alles Technischen und aller
Doktrine beginnt, nämlich dort, wo Freude und Leid mit den gleichen
Tönen in uns dringen. Seither bin ich auf diesem Wege bemüht, dieser
Wahrheit noch präziser nachzuspüren.
Vielleicht gelingt es mir einmal, etwas zu schreiben, das in jeder Note
Ausdruck dieser Wahrheit sein darf, bevor ich an die Schwelle komme,
hinter der die Vollkommenheit jeder Musik verborgen ist. |